“Eine Person bringt doch gar nichts.”
“Selbst wenn ich nie wieder Auto fahre, was ist das schon im Vergleich zur Industrie?”
“Man kann nicht den ganzen Haushalt plastikfrei machen. Dann hat es auch keinen Sinn.”
Sowas und unzählige andere Aussagen zu nachhaltigen Alltagsdingen habe ich schon oft gehört. Und als Klimatrainerin, die sich viel mit den Emissionen und Abfällen aus der Industrie beschäftigt, sehe ich oft die immensen Mengen, die im Vergleich zur Privatperson wirklich massig sind.
Bringt es da wirklich was, wenn ich auf’s Fliegen verzichte? Oder eine plastikfreie Zahnbürste benutze? Kein/Wenig Fleisch esse oder Müll richtig trenne?
Ich sage: JA! Auf jeden Fall! Und ich sage dir hier in diesem Blog, wie ich auf meine ganz persönliche Bestätigung gekommen bin, die für mich funktioniert und mich in jeder meiner nachhaltigen Mini-Aktionen bestärkt. Denn ich selbst habe auch eine Zeit lang gezweifelt.
“Dein Kind ist für diese Welt egal”
Wenn du Kinder hast, sind sie (wahrscheinlich) das allerwichtigste für dich. Was ist, wenn ich dir sage, dein Kind interessiert niemanden, außer deiner Kernfamilie?
Ob dein Kind, dein Neffe, dein Bruder, deine Tante auf dieser Welt existieren und geboren wurden, ist völlig egal für diesen Planeten? Rein auf die Gesellschaft und die Masse der Menschheit betrachtet, macht es keinen Unterschied, ob wir 8.056.976.839 Menschen sind oder 8.056.976.840!
Das ist eine ziemlich heftige Aussage, die wahr und falsch zugleich ist.
Dass diese besonderen Menschen auf der Welt sind, bereichert deine ganz persönliche Umgebung, deine Bubble. Und es ist so schön, dass es diese Personen gibt! Für uns sind sie wichtig.
Und so sehe ich es beim Plastikmüll, beim CO2 und beim Fleischessen auch.
ICH bin nicht der Mittelpunkt
Dafür muss man erst einmal verstehen, so gerne es einige Menschen hätten, dass man selbst NICHT der Mittelpunkt der Gesellschaft, der Welt, des Universums ist.
Wir sind alle gemeinsam der Mittelpunkt. Und wir sind alle gemeinsam wichtig. Und jeder Tag, an dem es mir gut geht, ist schön! Ich kämpfe für jeden einzelnen Tag, dass ich diesen erleben kann, was schönes machen kann. Dass ich die Zeit mit was schönem verbringen kann, meinem Partner, meinen Hobbies, meiner Katze, meiner Familie.
Würdest du einen dieser Tage abgeben? Ich glaube, das würden wir alle nicht wollen.
Aber wir alle sollten schöne Momente erleben dürfen und lange leben dürfen. Nicht ICH. Sondern WIR. Nicht HEUTE, sondern auch MORGEN. Alle, die nach uns kommen sollten die Chance dazu haben dürfen.
Ein paar Zahlen – in Relation gesetzt
Ich arbeite zum Zeitpunkt an dem ich diesen Artikel schreibe in einem sehr energieintensiven Unternehmen. Wir verbrauchen pro Tag etwa die Energie von 400 Haushalts-Jahresverbräuchen!
Wahnsinn! Was soll ich da 100g Plastik sparen? Oder 20kg CO2?
Ich sage dir warum: Damit irgendjemand auf der anderen Seite der Welt einen Tag länger leben kann, weil die Luft ein kleines bisschen später zu verschmutzt zum Atmen ist (vielleicht ist es DEIN Kind, dass diese Luft zum Atmen braucht). Damit eine Schildkröte weniger an Plastikmüll verendet.
Viele Tiere ersticken an Plastikmüll, welcher im Meer treibt. Das sind oft nur wenige 100g, die sie schlucken, dadurch aber keine andere Nahrung mehr aufnehmen können.
Das könnte mein Plastikmüll sein. Oder deiner.
Jedes Jahr erkranken immer und immer mehr Menschen an Asthma. Ein Zusammenhang mit der Steigerung der Luftverschmutzung durch CO2 und andere Emissionen konnte gezeigt werden [1].
Kinder sind besonders häufig betroffen, da deren Immunsystem schon früh in der Entwicklung belastet wird (mein Herz blutet, das zu lesen!).
Auch meine Neffen waren von frühkindlichem Asthma betroffen, was sich zum Glück (vielleicht durch die vielen Ostsee-Urlaube) zurückentwickelt hat. Einer von beiden muss aber trotzdem noch bei Erkältungen mit Cortisol behandelt werden, weil er sehr stark betroffen war und seine Lunge scheinbar dauerhaft geschädigt wurde.
Und bei vielen bleibt es bestehen, ein Leben lang. D. h. durch mein ganz kleines bisschen CO2-Emission gibt es irgendwo ein Kind, dass einen Tag früher an Asthma erkrankt und deswegen weniger schöne Momente im Leben hat.
Wenn ich also weniger Luftverschmutzung durch die Nutzung meines Fahrrads, von Ökostrom und klimaneutraler Heizung schaffe, dann habe ich irgendwo auf der Welt einem Menschen ein paar mehr “gesunde” Tage verschafft.
Es ist übertrieben – aber wir sind doch viele!
Diese Verbindung zwischen meinen Emissionen und dem direkten Zusammenhang vom Tod einer Schildkröte oder der Erkrankung eines Kindes ist natürlich übertrieben! Aber man kann sich nicht davon frei sprechen, dass man nichts zum Klimawandel beiträgt.
Und natürlich soll man nicht auf sein gesamtes Leben verzichten, damit ein anderer Mensch leben kann. Das ist nicht der Sinn von Nachhaltigkeit.
Aber diese “direkten Assoziationen” helfen mir total im Alltag, manche Entscheidungen zu treffen. “Es stirbt eine Schildkröte weniger, wenn ich weniger Lebensmittel in Plastikdosen kaufe”. Und es ist ok, dass ich am nächsten Tag dann doch nochmal eine Aludose Kichererbsen kaufe.
Aber so kann man Schritt für Schritt jeden einzelnen Aspekt, den man durchführt quasi “bestätigen” und positiv beleuchten.
Außerdem, Leute: Wir sind doch viele! Alleine meine Kernfamilie besteht aus 10 Leuten. Meine “erweiterte” Familie mit Tanten, Onkels, Nichten, Neffen, Cousins usw. sind sogar mittlerweile über 100.
Was meinst du, wie viel wir zusammen einsparen könnten, wenn jeder auf Ökostrom umswitcht? Wenn jeder einmal die Woche weniger Fleisch isst? Oder statt zweimal im Jahr nach Malle zu fliegen einmal in Deutschland und einmal in Frankreich Urlaub macht, mit dem Auto oder dem Zug?
Da kommt was zusammen.
Ich werde immer darüber reden, über den Klimawandel. Über vegetarische und vegane Ernährung. Über den einen Plastikbeutel, den ich eingespart habe und dass ich meine Geschenke in Stoff wickle, nicht in Folie. Über unser Balkonkraftwerk und diese eine Schildkröte irgendwo im Meer.
Ich werde immer darüber reden, dass meine Einsparung meinen Neffen vielleicht ein paar Tage mehr gute Luft bescheren wird.
Und ich werde für jedes Zehntel Grad weniger kämpfen, so wie ich kann.
Und ich finde, jeder muss was tun. Nicht jeder muss alles tun und kann alles tun. Aber weniger Fleisch essen? Kostet kein Geld. Statt mit dem Auto mit dem Fahrrad zum Bäcker? Kostet kein Geld (und macht fit).
Ökostrom ist meistens billiger.
Lebensmittel erst aufbrauchen, bevor man neue kauft, ist billiger, macht weniger Müll und meistens spart man sich den Weg zum Supermarkt.
Mit den Kids im Wald nach Sachen suchen und Zeit mit ihnen verbringen ist kostenlos im Vergleich zum Phantasialand/immer mehr Spielzeuge kaufen usw. (no bashing, ich habe Phantasialand als Kind geliebt – bis ich alt wurde, haha).
Secondhand Klamotten sind oft noch sehr gut in Schuss und kosten ebenfalls weniger.
Das Handy muss nicht jedes Jahr ersetzt werden. Mein Laptop ist übrigens Stand jetzt 8 Jahre alt! Mein Handy schon 4 (aber bald keine Updates mehr 🙁 ).
Nachhaltigkeit ist immer günstiger
Wusstet ihr, dass man nicht nur Geld vererben kann? Man kann auch “Umwelttrauma” vererben.
Wenn wir heute nicht handeln und investieren, wird es später immer teurer werden. Wenn du heute als Eltern, Tante, Onkel, Freund, Pate nicht investierst, sei es Zeit, Geld oder einfach nur dein Wissen, dann werden es “unsere” Kinder und Enkel bezahlen müssen.
Wollen wir das?
Ich glaube nicht.
Es gibt da so einen Spruch, ich denke, es ist eine indianische Weisheit:
“Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern sie von unseren Enkeln geliehen.”
Ich finde ihn gut.
Macht, was ihr könnt. Denkt dabei an all die Leute, die nach uns hier leben werden. Nicht nur morgen oder in 10 Jahren. Sondern in 30 Jahren, in 50 Jahren, in 100 Jahren und noch viel weiter.
Bleibt sicher und gesund,
Bavai
Quelle
[1] Sims, Jennifer N., Sophia S. Leggett, and Anitha Myla. “Industrial emissions and asthma prevalence.” European Journal of Environment and Public Health 4.2 (2020): em0046.